Apathie und Schockstarre – Warum bleiben die Ängste vor einer Ausweitung des Krieges stumm und folgenlos? – Leo ENSEL


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14.03.2024

Apathie und Schockstarre – Warum bleiben die Ängste vor einer Ausweitung des Krieges stumm und folgenlos? – GlobalBridge

Leo Ensel

12–15 Minuten


Der 2011 verstorbene Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter diagnostizierte Anfang der Achtziger Jahre angesichts der damaligen Kriegsgefahr der Bevölkerung „Sprachlosigkeit und stumpfe Unbeweglichkeit“ – und trug nicht unwesentlich zum Entstehen der Friedensbewegung gegen die Stationierung atomarer Mttelstreckenraketen bei.

14. März 2024 in Allgemein, Geschichte, Medienkritik, Politik

Eine deutliche Mehrheit der Bürger fürchtet einer Umfrage zufolge eine Ausweitung des Kriegs in der Ukraine auf europäisches NATO-Gebiet. Warum wird das hingenommen, als handele es sich um ein unabwendbares Naturereignis?

Vielleicht wird es der späte Historiker noch rätselhafter finden als wir Zeitgenossen, dass, obwohl allmählich fast jedes Kind wusste, dass man vor Kriegen stand, die auch für den Sieger das entsetzlichste Leiden mit sich brachten, dennoch die Massen nicht etwa mit verzweifelter Energie alles unternahmen, um die Katastrophe abzuwenden, sondern auch noch ihre Vorbereitung durch Rüstungen, militärische Erziehung usw. ruhig geschehen ließen, ja sogar unterstützten.“

Mit diesen Worten von Erich Fromm hatte ich vor genau 40 Jahren ein Buch über Angst – genauer: Nicht-Angst – und atomare Aufrüstung eingeleitet, das im Mai 1984 erschien. Fromm hatte diese Sätze am Vorabend des Zweiten Weltkrieges, 1937, in seinem Aufsatz „Über die Ohnmacht“ formuliert; das Zitat war damals also bereits 47 Jahre alt.

Warum ich nun vier Jahrzehnte später einen Essay wiederum mit diesem Zitat eröffne, das bedarf, leider!, keiner weiteren Erläuterung. Wiederum stehen wir vor Kriegen, nein: tobt im Osten Europas längst ein Krieg, der „auch für den Sieger“ – falls es den überhaupt geben und was auch immer hier mit „Sieg“ genau gemeint sein sollte – „das entsetzlichste Leiden“ mit sich bringen wird, nein: bereits mit sich bringt. Und es sieht so aus, als hätte dieser Krieg seinen Kulminationspunkt noch gar nicht erreicht. Auf der Skala der möglichen Entsetzlichkeiten ist nach oben noch erschreckend viel Luft. Mit anderen Worten: Dass der Krieg in der Ukraine sich nicht doch noch zu einem Flächenbrand auswächst, der ganz Europa, ja möglicherweise die gesamte Nordhalbkugel erfasst, und dass die finalen Untergangsgeräte nicht doch noch zum Einsatz kommen, falls eine Seite sich definitiv in die Ecke gedrängt fühlen sollte, das ist noch lange nicht ausgemacht.

Nur, dass diese Gefahr, genauso wie vor über 85 Jahren, offenbar niemanden groß zu interessieren, gar aufzuregen scheint! (…)

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