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Martin Zeis 11.07.2018 21:00
Der weithin bekannte Investigativ-Journalist Wolf WETZEL hat gestern in einem 29-minütigen Gespräch mit Malte Daniljuk zum Verlauf des NSU-Prozesses und zu den komplexen Hintergründen der Mordserie Stellung genommen.
An drei Beispielen demonstriert Wetzel im Detail, dass und wie eine tatsächliche und an den Grundsätzen der polizeilichen Ermittlungsarbeit orientierte Aufklärung durch diverse staatliche Behörden be-/verhindert wurde und wie Tathergänge manipuliert bzw. verdeckt worden sind.
Zum Schluss wird das recht umfängliche geheimdienstliche Personal des NSU-Komplexes sichtbar.
Nicht ohne Grund hat das OLG München in seinem heutigen Urteil verfügt, wichtige, der Aufklärung der verschiedenen Taten / Täter/-kreise dienliche Akten 120 Jahre lang zu sperren.
Das hochinformative Gespräch „Tote laden nicht nach“ – Wolf Wetzel zum NSU-Komplex“ ist abrufbar unter:
https://www.youtube.com/watch?time_continue=7&v=ZJSl8F7CpKs
Im Folgenden die jüngsten Beiträge Wetzels auf seinem Blog „Eyes Wide Shut“.
https://wolfwetzel.wordpress.com/category/02-bucher/der-nsu-vs-komplex-2013-2015/
Die Urteile im NSU-Prozess in München. Alles gesagt?
07/11/2018 — Wolf Wetzel
Für den 11. Juli 2018 wurden die Urteile im NSU-Komplex angekündigt. Sie richten sich gegen das letzte lebende (Gründungs-)Mitglied einer terroristischen Vereinigung namens „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) und vier Unterstützer.
Laut Süddeutsche Zeitung ist der NSU-Prozess „ein Prozess der Superlative: der längste, der größte, der teuerste. Ein Jahrhundertprozess, nur zu vergleichen mit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen, den Auschwitzprozessen und den RAF-Verfahren. Es geht um zehn Morde, drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle.“
In der medialen Vorbereitung auf das Urteil wurde immer wieder an das Versprechen erinnert, das die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf einer zentralen Gedenkfeier im Februar 2012 gegeben hatte:
„Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen.“
Dass dieses Versprechen nichts wert ist und mit Bedacht nicht eingelöst werden sollte, hat sich nicht erst im Laufe des Prozesses herausgestellt.
Bereits vor Beginn des Prozesses im Jahre 2013 hat die Bundesanwaltschaft angekündigt, worum es in diesem Prozess nicht gehen wird:
- Gegenstand des Prozesses wird nicht sein, ob der NSU aus mehr als drei Mitgliedern besteht.
- Nicht aufklärungswürdig ist die Begründetheit des Vorwurfes, dass der Staat in direkter bzw. indirekten Form am Zustandekommen des nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) beteiligt war.
- Ebenfalls sei es nicht Gegenstand dieses Prozesses, ob und wie viele V-Leute die Taten des NSU ermöglicht bzw. nicht verhindert haben.
Diese Prozesslinie hatte der Bundesanwalt Dr. Diemer am 25. Juli 2017 nochmals unterstrichen, als es um die verweigerte Beweiserhebung in diesem Verfahren ging:
„Eine Beweisaufnahme, die das politische und mediale Interesse nicht immer befriedigen konnte, weil die Strafprozessordnung dem Grenzen setzte. Rechtsstaatliche Grenzen, die verlangen, das Wesentliche vom strafprozessual Unwesentlichem zu trennen. So ist es schlicht und einfach falsch, wenn kolportiert wird, der Prozess habe die Aufgabe nur teilweise erfüllt, denn mögliche Fehler staatlicher Behörden und Unterstützerkreise – welcher Art auch immer – seien nicht durchleuchtet worden. Mögliche Fehler staatlicher Behörden aufzuklären, ist eine Aufgabe politischer Gremien. Anhaltspunkte für eine strafrechtliche Verstrickung von Angehörigen staatlicher Stellen sind nicht aufgetreten.“ (Wortprotokoll der Nebenklage)
Von daher ist die bis heute andauernde Enttäuschung über den fehlenden Aufklärungswillen auch eine Selbsttäuschung, die mit der Weigerung einhergeht, sich nicht mit dem deutlich artikuliertem Faktum auseinanderzusetzen, dass „schonungslose“ Aufklärung weder die Aufgabenstellung der Bundesanwaltschaft war, noch die des Staatsschutzsenats.
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Wolf Wetzel
Der NSU-VS-Komplex. Wo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund – wo hört der Staat auf? 3. Auflage, Unrast Verlag 2015
Alle Beiträge und Recherchen der letzten sechs Jahre zum NSU-VS-Komplex finden sich hier:
https://wolfwetzel.wordpress.com/category/02-bucher/der-nsu-vs-komplex-2013-2015/
Eine erste Einschätzung haben Nebenkläger auf ihrem Blog: „Nebenklage NSU-Prozess“ gezogen:
„Das Urteil des Staatsschutzsenats des OLG München schützt den Staat und lässt die Opfer einmal mehr im Stich
Das OLG München hat mit seinem Urteil vom heutigen Tag all denjenigen, die sich um eine wirkliche Aufklärung Straftaten des NSU und ihrer Hintergründe bemühen, einen Schlag ins Gesicht versetzt. Die Beschränkung der Aufklärungsbemühungen auf eine harte Verurteilung Beate Zschäpes, bei gleichzeitiger Verharmlosung der Tatbeiträge und der Ideologie der Unterstützer und Leugnung jeglicher Verantwortlichkeit staatlicher Stellen, geht viel weiter, als dies nach der bisherigen Beweisaufnahme zu befürchten war.“
Bitte weiterlesen: https://www.nsu-nebenklage.de/blog/2018/07/11/11-07-2018/
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„Über 45 V-Leute waren beteiligt“: Geheimdienste und das offene Ende vom NSU-Prozess
07/11/2018 — Wolf Wetzel
Auszüge aus der Pressekonferenz mit RA Sebastian Scharmer und Interview mit Wolf Wetzel zum bevorstehenden Prozessausgang. Sputnik vom 11. Juli 2018 *
Am Mittwoch wird nach 437 Verhandlungstagen ein Urteil im Prozess gegen den „Nationalsozialistischen Untergrund“ erwartet. Zuvor spricht Anwalt Sebastian Scharmer in Berlin vor internationalen Medien. Er vertritt Opfer des rechten Netzwerks, äußert sich zu möglichen Haftstrafen und bedauert, dass der Staat keine Transparenz schaffen will.
Der Dortmunder Rechtsanwalt Sebastian Scharmer geht davon aus, dass vier der fünf Angeklagten im Prozess gegen den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) zu langen Haftstrafen verurteilt werden. Damit meinte er Beate Zschäpe als Hauptangeklagte sowie die Angeklagten Ralf Wohlleben, Holger G. und Andre E., die am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht München ihre Urteile erwarten. Diese Gruppe sei aber „nur ein Teil der Personen, die an dem Mord direkt oder indirekt mitbeteiligt gewesen sind. Das ist eine bittere Erkenntnis nach fünf Jahren versuchter Aufklärung in diesem Prozess“, einem der „längsten Indizienprozesse der deutschen Geschichte“. Das sagte Scharmer am Montag im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin vor Vertretern der ausländischen Medien.
Scharmer vertritt in dem Mammut-Verfahren Hinterbliebene des 2006 in Dortmund ermordeten Kioskbesitzers Mehmet Kubasik. Rückblickend habe der Prozess nie das erreichen können, was sich die Öffentlichkeit erhofft hatte. Dies hatte auch mit Problemfeldern zu tun, mit denen der Anwalt im Verlauf des Verfahrens selbst zu kämpfen hatte. „Da waren Szene-Zeugen, also Neonazis, die wir vernommen hatten, die sich im Gerichtssaal dumm oder erinnerungslos gestellt haben.“ Der andere Punkt sei „das Problem der Involvierung der Verfassungsschutzämter“ in dem Fall.
Wird Merkels Versprechen nicht eingelöst?
Noch 2011 hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) der Öffentlichkeit ein „Aufklärungs-Versprechen“ gegeben, dass der Staat „alles tun“ werde, um die Hintergründe des NSU-Komplexes aufzudecken. Davon sei heute nichts mehr zu spüren, so der Rechtsanwalt auf der Pressekonferenz. (…)
* https://de.sputniknews.com/politik/20180711321492948-nsu-prozess-ende-zschaepe/
Die Radio-Reportage zum Abschluss des NSU-Prozesses zum Nachhören
Dauer 05.14 min