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Martin Zeis, 01.11.2017
Den Fragen
- Wird es am 21. Dezember aus Spanien diktierte Wahlen in Katalonien geben (können)?
- Wie wird der Unabhängigkeitsprozess weitergehen?
- Wie wird der „Konstituierende Prozess“ zum Aufbau der Republik nun vorangehen?
geht Ralf Streck in einem gestern auf telepolis publizierten Text „Internationalisierung des katalanischen Konflikts“ nach.
(Text vollständig verfügbar über den Anhang (pdf, 10 S.) und http://www.heise.de/-3876419
Was unter dem „Konstituierenden Prozess“ zu verstehen ist, wird in dem folgend dokumentierten Kapitel des Textes erläutert:
… Der „Konstituierende Prozess“
Aber die Repression und die Tatsache, dass sich Puigdemont und diverse Minister im Ausland befinden, darf nicht davon ablenken, dass nun in Katalonien der „Konstituierende Prozess“ in Gang gesetzt werden muss. Den beiden Wörtern, die bisher nur eine diffuse Vorstellung ausgedrückt hatten, kommt nun die Forderung nach dringlicher Umsetzung zu.
Denn im zweiten Beschluss vom vergangenen Freitag, als die Unabhängigkeit im katalanischen Parlament beschlossen wurde, ist auch die Einleitung des Prozesses festgelegt worden. Die katalanische Regierung müsse „sofort die nötigen Ressourcen und zur Verfügung stehenden materiellen Mittel zur Verfügung zu stellen“, um dies umzusetzen. In 15 Tagen soll sich ein Beratungsgremium bilden, das eine allein unterstützende Rolle spielen soll.
Bestimmend sein soll darin die „organisierte Zivilgesellschaft“ und die Gemeinden sollen die Debatten fördern. In nur einem Monat, so ist es festgelegt, soll sich eine Plattform aus Teilnehmern der Zivilgesellschaft bilden. Der „Nationale Pakt für den Konstituierenden Prozess“ soll dann bis zum 27. April 2018 Ergebnisse auf den Tisch legen, um konstituierende Wahlen in der katalanischen Republik abzuhalten.
Die Verwurzelung in der sozialen Frage und die breite Teilnahme der Bevölkerung an dem Prozess sollen den großen Unterschied der katalanischen Republik zur Carta Magna der spanischen Monarchie bilden. Im Parlamentsbeschluss heißt es, dass der Prozess, „demokratisch, basierend auf der Bevölkerung und unter deren Beteiligung, transversal verlaufend und verbindlich“ sein müsse.
Es handele sich um die Chance, die „aktuellen demokratischen und sozialen Defizite in einer katalanischen Republik zu beseitigen“, um zu einer „stärker prosperierenden, gerechteren, sichereren, nachhaltigeren und solidarischeren Gesellschaft zu kommen“.
Der Unterschied zur spanischen Verfassung von 1978
Der Unterschied zur 1978 von den wenigen sogenannten „Vätern der Verfassung“ ausgearbeiteten spanischen Verfassung ist damit sehr deutlich. Zu deren Schreibern gehörte auch der politische Ziehvater von Mariano Rajoy. Manuel Fraga Iribarne[19] hatte sich vom Minister der Franco-Diktatur plötzlich, nachdem der die Monarchie restauriert und den König zum Nachfolger ernannt hatte, zum Demokraten gewandelt.
Dieser Faschist durfte sich an der Ausarbeitung der Verfassung beteiligen, die geheim in Hinterzimmern und vor dem Säbelrasseln der Militärs verfasst wurde, die dann 1981 doch noch einmal einen Putschversuch unternommen haben[20]. Man muss sich das einmal für Deutschland vorstellen, wenn Mitglieder der Hitler-Diktatur unsere Verfassung hätten mit ausarbeiten dürfen. Somit wird vielleicht klar, warum man in Spanien darin kein Notwehrrecht findet, aber solch schwammige Paragraphen wie den 155.
Zwar muss sich das katalanische Modell selbst erst noch erschaffen, doch wurden verschiedene Verfassungsreformen mit Bürgerbeteiligung weltweit der letzten Jahre im Detail studiert, wie in Irland, Island, Bolivien, Ecuador, Chile oder auch in Schottland, wo der Prozess nach dem Nein beim Referendum zunächst ausgesetzt wurde.
Einer derer, die daran beteiligt waren, ist der Politologe der Universität Pompeu Fabra. Für Jaume López ist es undenkbar, dass „im 21. Jahrhundert Verfassungen in Hinterzimmern verfasst oder reformiert werden“. Und für den dritten Mann in der katalanischen Regierung ist das ebenfalls die Maxime: Für Außenminister Raül Romeva können in wahren Demokratien solche Vorgänge „nicht vertikal und von oben dirigiert“ werden. Sie müssten stattdessen „horizontal und partizipativ“ sein.
Die Bürgermeister: Ein Machtvakuum verhindern
Da die katalanische Regierung nach dem Einsatz des 155 nur noch begrenzt handlungsfähig ist, kommt der „Versammlung der Gewählten in Katalonien“ (AECAT) eine zentrale Rolle zu. Über diese zu schaffende Institution soll ein Machtvakuum verhindert werden.
Bisher haben sich mehr als 4.000 Stadtverordnete, Bürgermeister, Parlamentarier verschiedenster Parlamente, bis ins Europaparlament eingeschrieben, um sich an AECAT zu beteiligen. Die ausstehende Konstituierung wird sich durch die Vorgänge der letzten Stunden beschleunigen.
Wie schon bisher kommt der basisdemokratisch und gut organisierten linksradikalen CUP in dem Prozess eine ganz besondere Rolle zu. (*) Der CUP-Bürgermeister der Gemeinde Argentona und Vizepräsident der Gemeindeversammlung für die Unabhängigkeit (AMI) meint, es gäbe eine „unumstößliche Verpflichtung“ der gewählten Vertreter gegenüber der eigenen Regierung und der Republik.
Doch Eudald Calvo macht keine falschen Hoffnungen. Deshalb sieht er in AECAT eine Struktur, mit der „vorangeschritten“ werde, „auch wenn die Regierung der Republik verhaftet wird“. Dann müsse die Verantwortung „auf die Volkssouveränität“ übergehen.
Die Gemeinden hätten längst eine bedeutsame Rolle gespielt, wie das Referendum gezeigt habe, erklärt er. „Ohne die Gemeinden ist nichts zu machen“, erklärt er im Hinblick auf die geplanten Neuwahlen am 21. Dezember. Calvo ist klar, dass Spanien über seine Sicherheitskräfte zwar weiter das Land kontrolliert, „aber nicht die Gemeinden und das ist ein Vorteil für die Republik“.
Bisher hat die CUP eigentlich angekündigt, sich an den Wahlen nicht mehr zu beteiligen, doch dürfte diese Position kaum haltbar sein, will die Unabhängigkeitsbewegung im Dezember siegen. (**)
Doch man könnte den Spieß umdrehen, wenn freie und faire Wahlen nicht möglich sind und Parteien verboten werden. Man könnte dann dem Staat zeigen, der ja nicht einmal das Referendum in Katalonien verhindern konnte, dass er auch nicht fähig ist, Wahlen durchzuführen.
Debattiert werden dafür auch massivere Kampfformen, wie ein Generalstreik, mit dem schon am 3. Oktober das Land als Antwort auf die Gewalt beim Referendum das Land lahmgelegt wurde[22]. …
Anmerkungen m.z.
(*) „The CUP to decide its position on the December 21 election at a November 11 special assembly.“ Quelle: : https://www.greenleft.org.au/content/live-blog-catalonias-independence-struggle 31.10.2017 14:00 HOURS
(**) Zur Frage „Wer ist, was will die CUP?“ vgl. www.raulzelik.net/baskenland-texte/488-suedeuropaeische-zapatistas-die-katalanische-cup-gespraech-mit-david-fernandez-juli-2016
Südeuropäische Zapatistas – die katalanische CUP
(Gespräch mit David Fernàndez, Juli 2016)
Die katalanische CUP (Candidatura D’Unitat Popular) ist ein Unikat in Europa. Die linke Wahlplattform definiert sich als Teil des „europäischen Zapatismus“, kennt keine formale Mitgliedschaft und setzt sich aus lokalen Vollversammlungen zusammen. Obwohl mit 8% im katalanischen Parlament vertreten, bemüht man sich v.a. um eine Verankerung in Stadtteilen und Dörfern. 3000 Aktive, mehr als 100 soziale Zentren, 400 Gemeinderäte und 30 Bürgermeister bilden das Rückgrat der Organisation, die keine Partei sein will. (…)
Hinweis: Von heute an berichtet Raúl Zelik auf einem täglich aktualisierten Blog „Was ist los in Katalonien? (Blog Herbst 2017)“ über die inneren und äußeren Aspekte/Faktoren des katalanischen Konflikts. Vgl. https://www.raulzelik.net/baskenland-texte/504-was-ist-los-in-katalonien-blog-herbst-2017
STRECK-Internationalisierung-des-katalanischen-Konflikts171031.pdf
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