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Martin Zeis, 26.04.2016
Der Journalist Jens WERNICKE hat den Schweizer Zeithistoriker und Konfliktforscher Kurt GRITSCH (Jg. 1976) zu seiner kürzlich bei University Press (Innsbruck) erschienenen Studie „Krieg um Kosovo: Geschichte, Hintergründe, Folgen“ interviewt (vgl. http://www.nachdenkseiten.de/?p=33128#more-33128 ).
Nach dem Angriffskrieg auf Jugoslawien äußerte sich Jamie SHEA, Pressprecher der NATO offenherzig zur Aufgabe der Medien: „Die Medienkampagne zu gewinnen, ist genauso wichtig, wie die militärische Kampagne für sich zu entscheiden.“
Was Kurt Gritsch vielleicht nicht weiß, ist die bedeutende Rolle, welche die laufende Berichterstattung auf der Website der „AG Friedensforschung“ (Kassel) http://www.ag-friedensforschung.de bei der Kritik und Aufklärung über sämtliche in dem Interview angesprochenen Aspekte/Hintergründe dieses geostrategischen Präzendenzkrieges der USA/NATO spielte.
Viele – auch in der Partei „Die Grünen“ – nutzten die dort veröffentlichten Dokumente, Memoranden, den Nachweis und die Enthüllung fortgesetzter medialer Fälschungen, die angezeigten/rezensierten Artikel/Bücher über die geopolitische Bedeutung der Zerstörung/Zerlegung der Mittelmacht Jugoslawien in hilflose, abhängige, sowohl von US/D/EU leicht steuerbare Kleinstaaten (sog. Balkanisierung).
Die Website war entscheidend für den Unterricht in (Zeit-)-Geschichte und Deutsch an den allgemeinen und beruflichen (Ober-) Schulen und für die Aufklärung friedensbewegter KollegInnen, welche unter dem Druck der medialen Propaganda fast zusammenbrachen, insbesondere, weil sich Leute ihres Vertrauens (wie Leitfiguren der Grünen, die mit Reformhoffnungen von ihnen gewählte Rot-/Grün-Regierung, Schriftsteller wie Enzensberger mit einem Spiegel-Essay: Milosevicz = Hitler) dem US-/NATO-Krieg angeschlossen hatten.
Ich erinnere mich noch genau, welche Zustimmung aber auch kognitive Dissonanzen die halbwöchentlich im Kollegium und den Kollegklassen verteilten Doku-Mappen mit den o.a. AG-Friedensforschungs-Materialien auslösten … aber auch an den Parteiaustritt vieler tausend Mitglieder der sich ihres friedenspolitischen Gründungskonsens’ („Nie wieder Krieg“, „Raus aus der NATO“) entledigenden Partei.
Im Folgenden der Anfang des gehaltvollen NDS-Interviews, das in Gänze auch im Anhang (pdf, 8 S.) verfügbar ist.
Viele Grüße,
Martin Zeis
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Herr Gritsch, soeben erschien Ihr neues Buch „Krieg um Kosovo: Geschichte, Hintergründe, Folgen“, mit dem Sie vielen neuzeitlichen Geschichtsmythen, die sich um den Kosovo-Krieg ranken, entgegentreten. Warum dieses Buch? Was war, was ist Ihre Intention?
Ich beschäftige mich seit 1999 als Historiker mit diesem Konflikt. Das vorliegende Buch enthält die Quintessenz dieser Forschung. Ich habe darin einerseits Texte vereint, die zuvor in Fachzeitschriften und Massenmedien erschienen sind, und andererseits die gesamte Thematik nochmals aktualisiert und letztlich auch in den breiteren Kontext von NATO-Osterweiterung sowie Ukraine- und Syrien-Konflikt gestellt. Denn das, was wir seit einigen Jahren erleben, ist eine Folge der NATO-Wandlung von Verteidigung zu Intervention, und das ist mit dem Kosovo-Krieg geschehen.
Sie schreiben im Buch, dass die Feuilletondiskussionen in FAZ, Süddeutscher, Zeit und Spiegel damals in hohem Ausmaß gesteuert waren, es also gezielte Bemühungen gab, Kriegszustimmung zu erheischen. Können Sie das denn belegen?
Ich habe dazu einerseits die Konfliktberichterstattung von FAZ, Süddeutscher, Zeit, Spiegel und taz im Krisenjahr 1998 bis vor Kriegsbeginn im März 1999 punktuell analysiert. Punktuell heißt, dass ich besonders wichtige Anlässe untersucht habe, wie zum Beispiel das Holbrooke-Miloševi-Abkommen sowie das mutmaßliche Massaker von Račak.
Andererseits habe ich die Feuilleton-Debatte in den fünf Zeitungen vom 24. März bis zum 10. Juni 1999 quantitativ und qualitativ ausgewertet.
Und zu welchen Ergebnissen gelangten Sie dabei? Was fiel Ihnen auf?
Auffallend war, dass alle fünf untersuchten Zeitungen zu keinem Zeitpunkt deeskalierend berichtet haben, wie dies beispielsweise die UNESCO-Mediendeklaration von 1978 verlangt, sondern stattdessen ein militärisches Eingreifen der NATO forderten.
Dazu wurde offenbar sehr gezielt ein jugoslawisch-serbisches Feindbild aufgebaut, indem man an das negative Jugoslawien-Bild aus dem „Bosnien-Krieg“ anknüpfte.
So wurde Belgrad etwa unterstellt, im Kosovo würde mit einer „ethnischen Säuberung“ begonnen. Dazu wurde der von der PR-Agentur Ruder Finn bereits 1992 lancierte Vergleich Serben=Nazis aus dem Bosnien-Krieg reaktiviert, der schließlich in der Analogie Miloševicz=Hitler kulminierte. Dieser Vergleich wurde dann vor allem 1999 während der Luftangriffe verwendet.
Die These der einseitigen serbischen „ethnischen Säuberung“ stammte damals ja von der NATO. UNO-Generalsekretär Kofi Annan vertrat sie nicht…
Das ist richtig. Annan hat von einem Bürgerkrieg gesprochen und nicht von einem einseitigen „serbischen Vertreibungs- und Vernichtungsprogramm“. Er hat auch wiederholt betont, dass Kosovo ein politisches Problem sei, das einer politischen Lösung bedürfe.
Aber die von mir untersuchten Medien sind auf diese Darstellung, die Annan auch mit Fakten belegte, entweder gar nicht erst eingegangen oder sie haben sie als unrealistisch dargestellt.
So wurde die UNO diskreditiert und die NATO als effizientere Lösungsorganisation porträtiert.
Diese Geringschätzung gegenüber der UNO stammt aus den USA, war damals unter den Transatlantikern weit verbreitet und speiste sich aus Ereignissen wie Ruanda oder Srebrenica, freilich ohne zu erwähnen, dass bestimmte Mitgliedsstaaten die UNO damals zuerst im Stich gelassen hatten.
GRITSCH-Kosovokrieg_Wernicke-Interview160426.pdf
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