Guten Tag zusammen,
im ausführlichen Interview mit der Wiener Zeitung vom 19.2. stellt die Unternehmensberaterin und frühere Europaabgeordnete Ina Kirsch ihre beruflichen und persönlichen Erfahrungen zum Hintergrund der Krise um die Ukraine, den zu erwartenden negativen Folgen des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Ukraine für Russland und die Ukraine sowie die Eskalation am 20. Februar dar, die unter dem Stichwort „Todesschüsse auf dem Maidan“ bekannt sind.
Das Interview liefert wichtige Details zu den Gründen, warum Janukowitsch das Assoziierungsabkommen auf Eis legen wollte, wozu zum einen die drohende Zahlungsunfähigkeit und die vom IWF im Gegenzug zu Krediten geforderte Schocktherapie gehörte.
Zudem bestätigt ihre Aussage zu den Geschehnissen am 20. Februar vor einem Jahr die Recherche des ARD-Monitorteams unter Stefan Stuchlik. Hier Auszüge aus dem Interview:
„Geschossen haben beide Seiten. Von wem es ausgegangen ist, konnte in diesem Moment niemand sagen. Auch die Polizisten von Berkut wussten nicht, woher die Schüsse kamen. Das geht aus deren Kommunikation hervor. Die mussten das erst einmal feststellen und suchten nach Scharfschützen. Andrij Schewtschenko, ein Abgeordneter der Partei Timoschenkos, der auf dem Maidan eine führende Rolle gespielt hat, hat sehr klar gesagt, die Polizisten seien damals zu ihm gekommen und hätten gesagt: Jemand schießt auf uns, mach doch was!
Wenn es so war, dass nicht allein Berkut verantwortlich war, sondern andere Scharfschützen: Wer könnten diese Schützen gewesen sein?
Es gibt einen Untersuchungsbericht. Der wird aber nicht veröffentlicht, weil darin Unangenehmes über Andrij Parubi, den nationalistischen Kommandanten des Maidan, stehen könnte. Das würde sich auch mit dem decken, was die BBC jetzt veröffentlicht hat: Dass nämlich die Schüsse aus dem Konservatorium und dem Hotel Ukraina gekommen sind. Das Konservatorium aber war unter vollständiger Kontrolle des Maidan. Und im Ukraina, das am 20. Februar zu einem Maidan-Lazarett wurde, nächtigten die westlichen Journalisten. Niemand kam ins Ukraina, ohne dass die Maidan-Leute das bemerkt hätten.
Soll das heißen, dass die Verantwortlichen für das Massaker nicht die Leute von Janukowitsch waren?
Zumindest nicht am Beginn. In den Medien war nach den Ereignissen von Snipern der Janukowitsch-Regierung die Rede, die von der Nationalbank aus geschossen hätten. Das war auch der Fall, aber erst am Nachmittag. Die Schießereien gingen aber schon am frühen Vormittag los. Die Ukrainer fragen, wenn etwas passiert, immer nach dem möglichen Nutznießer einer Situation. Das war nicht Janukowitsch.
Gibt es Indizien für andere Täter?
Es gibt mittlerweile genug Untersuchungsberichte, es tauchen viele Fragen auf. Warum sägt man beispielsweise Bäume ab, an denen man sehen kann, dass die Einschusslöcher aus einer anderen Richtung kamen? Es gibt Berichte amerikanischer ballistischer Experten, die sich die Einschusswinkel angesehen haben, auch auf den Schilden der Maidan-Kämpfer. Es wurde in deren Rücken geschossen. Dort waren allerdings keine Berkut-Einheiten. Wer geschossen hat, kann man nicht sagen, ich weiß es auch nicht. Aber es muss jemand gewesen sein, der ein klares Interesse an einer Eskalation hatte. Also nicht Janukowitsch, der sich ja nicht selbst stürzen wollte.“
Interessant sind auch ihre Einblicke in das spaltende, verbohrte und willkürliche Verhalten der jetzigen ukrainischen Regierung und deren innere Auflösung sowie die Nutzung der von Oligarch Kolomojski finanzierten Freiwilligenbataillone:
„Ein weiteres Problem sind die Freiwilligenbataillone. Die werden beispielsweise vom Oligarchen Ihor Kolomojski, dem Gouverneur von Dnipropetrowsk (von der Putsch-Regierung neu eingesetzt ES), bezahlt. Die Hauptaufgabe der Bataillone ist aber gar nicht so sehr der Kampf. Sie schützen vielmehr Kolomojskis Unternehmen und führen gewalttätige Übernahmen fremder Firmen durch. Sie stürmen einfach diese Unternehmen und verjagen die Leute dort, nach dem Mafia-Prinzip. Das ist jetzt möglich.“
Trotz ihrer Erkenntnisse hält sie eine Beteiligung des Westens am Umsturz „für ausgeschlossen“.
Das vollständige Interview ist abrufbar unter:
und als pdf-Datei im Anhang verfügbar.
Ukraine-Maidan-Todesschüsse-Kirsch-WienerZtg2015 02 19
Viele Grüße
Elke Schenk
globalcrisis/globalchange News
1) Ina Kirsch ist Unternehmensberaterin und eine intime Kennerin der Ukraine. Die deutsche Sozialdemokratin, die 13 Jahre lang im Europäischen Parlament arbeitete, war bis zum letzten Jahr Direktorin des European Centre for a Modern Ukraine (ECFMU). Die Organisation, die ihren Sitz in Brüssel hat, wurde 2011 gegründet, um im Zuge der EU-Annäherung der Ukraine für eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Kiew und Brüssel zu sorgen.
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